Eine gesellschaftspolitische Herausforderung?

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Eine gesellschaftspolitische Herausforderung?

Fritz Imhof, Mitglied des Zentralvorstandes und Bausteine-Redaktor schreibt über die Nöte in der schweizerischen Familienpolitik.

Das Kinderzulagen-Gesetz erlebte nach langem politischem Seilziehen zwischen den politischen Lagern sowie den beiden eidgenössischen Räten eine Zangengeburt. Nun muss auch um diese Minimalvariante gekämpft werden. Was ist los in der Schweiz?

 

Die Chancen, dass das neue Gesetz, das eine Kinderzulage von mindestens 200 Franken und eine Ausbildungszulage von mindestens 250 Franken schweizweit garantiert, angenommen wird, stehen gut. Das wussten wohl auch die Gegner der Vorlage. Trotzdem hielten sie es für sinnvoll, die überfrachtete Politagenda weiter zu belasten. Politische Profilsucht, Ideologie, Zwängerei, Ignoranz, Rückständigkeit?

 

Es wäre zu einfach, die Lage mit solchen Begriffen zu charakterisieren. Es stimmt zwar, dass gerade die ältere Politikergeneration noch dem Ideal verhaftet ist, dass Familie eine Privatsache sei und der Staat sich nicht einzumischen habe, auch nicht finanziell. Und wir beobachten auch die ideologische Komponente: Der Staat darf auf keinen Fall seine Leistungen im Sozialbereich verstärken – und wenn sie noch so sinnvoll und nötig sein sollten. Da müsse jede auch noch so bescheidene Forderung abgewehrt werden.

 

Das letzte Argument haben inzwischen die Medien – zum Beispiel auch die NZZ am Sonntag – ad absurdum geführt, indem sie zeigten, dass die Leistungen der Arbeitgeber an die Familien-Ausgleichskassen in den letzten Jahren ständig gesunken sind. Diese Kassen seien – dank rückläufigen Kinderzahlen – zum Teil so gefüllt, dass sich die Kassenwarte weigerten, ihre Zahlen preiszugeben. Die Annahme des Gesetzes habe daher für zahlreiche Arbeitgeber vorderhand gar keine Konsequenzen. Betroffen vom neuen Gesetz wären ohnehin nur die Arbeitgeber in Kantonen, die bislang mit Kinderzulagen knauserten.

 

Was kann es also sein, das solchen Widerstand gegen eine verbesserte gesellschaftliche Solidarität mit den Familien provoziert? Immerhin haben auch jene politischen Kreise grosse Mühe, die darauf setzen, dass die familienexterne Betreuung zügig ausgebaut werden sollte, obwohl der Mainstream der heutigen Familienpolitik in diese Richtung zielt. Und obwohl gerade Wirtschaftskreise an der „Entlastung“ der Mütter interessiert sind. Andererseits scheinen zurzeit auch jene keine Chancen zu haben, die eine moderne Lösung im Sinne einer Wahlfreiheit vorschlagen. Diese würde durch ein angemessenes Kindergeld sowohl Eltern von den Kosten der externen Betreuung entlasten als auch jene Väter oder Mütter eine Kompensation verschaffen, welche auf Erwerbseinkommen zugunsten der Familienarbeit verzichten.

 

Offenkundig stehen wir vor einer gesellschaftspolitischen Pattsituation. Obwohl die Notwendigkeit einer modernen Familienpolitik schon aus demografischen Gründen auf der Hand liegt, steht die Politik vor dieser Herausforderung wie gelähmt da. Das müsste gerade den Wirtschaftskreisen zu denken geben.

 

Die freisinnige Aargauer FDP-Nationalrätin Christine Egerszegy sagte in einem Interview mit dem Aargauer Kirchenboten, die Familienpolitik lasse sich nicht von der Wirtschaftspolitik trennen: „Sie ist ein Teil der Wirtschaftsförderung.“ Egerszegy: „Wir brauchen die neue Generation. Sozialversicherungen sind auf Beitragszahler angewiesen. Eine Gesellschaft ohne Nachwuchs und gegenseitige Solidarität stirbt aus. Nicht nur materiell, sondern auch gefühlsmässig.“ Hoffentlich hören das auch die Familienpolitiker in SVP und FDP.

 

Fritz Imhof

Mitglied des Zentralvorstandes der EVP