News

100 Jahre Proporz-Wahlrecht: «Dank Proporz haben auch Minderheiten eine Wahlchance»

Der Kanton Zürich feiert 100 Jahre Proporz. Dazu lädt der Kantonsrat diesen Freitag in die Halle 53 auf dem Sulzer-Areal. Die Einführung des Proporz-Wahlrechts stärkte kleinere Parteien wie die EVP, die ebenfalls 1917 ins Leben gerufen wurde. Für Barbara Günthard Fitze, Präsidentin der EVP Winterthur, komme so der Wille der Bevölkerung besser zum Ausdruck.

Dieses Interview erschien auf ZO-Online am 6. Juli 2017 / www.zueriost.ch

 

1917 nahm der Kanton Zürich einen Wechsel in seinem Wahlrecht vor: Der Proporz wurde für Wahlen der Legislative eingeführt – eine Stärkung der Demokratie im Kanton. Seither können auch kleinere Parteien die kantonale Politik aktiv mitgestalten. Die politische Welt wurde farbiger.

Diesen politischen Meilenstein feiert Zürich diesen Freitag, 7. Juli, in Winterthur. Die Halle 53 auf dem Sulzer-Areal verwandelt sich in ein Zentrum der gelebten und gefeierten Demokratie. Für einmal verlässt der Kantonsrat sein Rathaus in Zürich und kommt nach Winterthur. Er wird live eine Sitzung abhalten.

Doppelter Feier-Grund für die EVP

Grund zum Feiern hat auch die EVP. Die Evangelische Volkspartei wurde ebenfalls 1917 ins Leben gerufen. Dank der Einführung des Proporz-Wahlrechtes hat sie als kleinere Partei eine grössere Wahlchance erhalten. Barbara Günthard Fitze, Präsidentin der EVP Winterthur, ist überzeugt, dass so der Wille der Bevölkerung besser zur Geltung kommt.

Mit der Einführung des Proporz-Wahlrechtes vor 100 Jahren können auch kleinere Parteien die kantonale Politik aktiv mitgestalten. Welche Bedeutung hatte dieser Schritt für Ihre Partei?

Barbara Günthard Fitze: Mit dem Proporz haben auch Minderheiten eine Wahlchance erhalten. Der Wille der Bevölkerung in der Auswahl der Parlamentsmitglieder kam besser zur Geltung. Grund genug, um damals auch die EVP zu gründen. Seither sind wir ununterbrochen in den kantonalen und eidgenössischen Parlamenten vertreten.

Sehen Sie in dieser Einführung eine Stärkung der Demokratie im Kanton Zürich?

Demokratie lebt davon, dass der Wille der Bevölkerung optimal zum Ausdruck kommt und dabei auch die Minderheiten eine Chance haben, sich zu äussern. Diese Auseinandersetzung ist letztlich die Stärke der Demokratie, gerade auch in der Schweiz. Für uns wäre es undenkbar, dieses schweizerische Sinnbild in Frage zu stellen. Die Tendenzen der Grossparteien, eine Wahlhürde einzubauen, wiedersprechen dem und schwächen die Demokratie.

Was können kleinere Parteien zum politischen Diskurs beitragen?

Bei einem Gleichgewicht der Kräfte zwischen den Polen baut die EVP Brücken und ist nicht eine Selbstdarstellerin, sondern sucht nach Lösungen. Und das tun wir aufgrund unserer christlichen Grundhaltung in sachbezogener Art und Weise. Dabei ist uns eine Verantwortungsethik wichtig. In der Demokratie muss man sich auch überlegen, was die Konsequenzen des eigenen Handelns sind. Dies vermissen wir manchmal bei Gruppen mit einseitiger Ausrichtung. In der Sachpolitik hat sich die EVP bereits 1954 für bleifreies Benzin stark gemacht und in dieser Zeit Kläranlagen gefordert. Damit thematisierte die Partei wichtige Themen und das wiederum führt letztlich auch zu einer zukunftsgerichteten Politik.

Die Halle 53 auf dem Sulzer-Areal verwandelt sich für die Feier am 7. Juli in ein Zentrum der gelebten und gefeierten Demokratie. Wie leben Sie die Schweizer Demokratie?

Persönliche gehe ich wenn immer möglich abstimmen und bin bereit, in die politische Arbeit und damit die Demokratie freie Zeit zu investieren. Egal, ob dies im Parlament, bei Wahlkämpfen oder in Diskussionen mit Menschen ist. Gerade letzteres dünkt mich das Wichtigste. Wir müssen vermehrt die anstehenden Probleme der Umwelt, der Migration, des Menschenhandels aber auch Fragen in der Stadt und dem Quartier diskutieren. Und ich freue mich immer, wenn jemand mir sein Anliegen mitteilt, und ich dann nach Lösungen suchen kann.

Der Anlass läuft unter dem Motto «Welche Farbe hat deine Stimme?». Welche Farbe hat Ihre?

Die Parteifarben der EVP sind blau und gelb. Damit zeigen wir auch, dass wir keine einseitige und fade Partei sind. Im Gegenteil: Wir wollen offen und bunt sein, und damit unsere Position in der Mitte auch zum Ausdruck bringen. Wir möchten zeigen, dass wir keine Berührungsängste haben, sondern für die Menschen nach Lösungen suchen. Egal ob jemand links, rechts oder in der Mitte steht.

Wie gerecht ist die heutige Ausgestaltung unseres Wahlsystems in Bezug auf kleinere Parteien?

Mit dem «doppelten Pukelsheim» wurde der Proporz nochmals verwesentlicht mit dem Ziel, alle Stimmen gleichwertig zu machen. Also auch die Stimmen in einem Wahlkreis ohne eigenes Mandat zählen in der Gesamtverteilung der Sitze. Aber mit der Schaffung von Wahlhürden wurde dieser Gedanke von den grossen Parteien wie SP, SVP und FDP aus eigener Machterhaltung heraus auch wieder in Frage gestellt. Das ist schade und widerspricht der Demokratie, die auch Minderheiten eine Plattform bieten will.

Wo sehen sie diesbezüglich noch Verbesserungspotenzial?

Beim «doppelten Pukelsheim» muss jede Wahlhürde kantonal und kommunal abgeschafft werden. Politisch muss die Begründung, dass viele Fraktionen den Parlamentsbetrieb erschweren, als falsch bezeichnet werden. Das Parlament ist keine Unternehmung, in der Effizienz primäres Anliegen ist, sondern die Auseinandersetzung mit Themen und verschiedenen Meinungen. Das Volk muss und soll dort zum Ausdruck kommen.

Am 4. März 1917 wurde in der Freien Kirche Uster die «Protestantisch-christliche Partei» als Vorgängerin der EVP gegründet. Somit ist auch die Evangelische Volkspartei des Kantons Zürich 100 Jahre alt. Mit welchen Gefühlen blicken Sie auf die Geschichte Ihrer Partei zurück?

Mit grossem Stolz. Wir haben viele «Eintagesparteien» erlebt und dabei als EVP eine grosse Konstanz erwiesen. Mit einer treuen Stammwählerschaft ist es uns gelungen, die Wertefragen der EVP immer wieder sachbezogen in der Politik einzubringen.

Was sind für Sie die Meilensteine in der Geschichte der kantonalen EVP?

Selbstverständlich die Gründung als solches. Neben unseren Initiativen wie etwa zur Schulklassengrösse, den Seeuferwegen oder zum Biblischen Unterricht ist der Meilenstein wohl der, dass wir kontinuierlich und sachbezogen mitarbeiten und so helfen, die Demokratie zu stärken. Dabei sind soziale Anliegen, wirtschaftliche Entwicklung und Nachhaltigkeit für die EVP gleichwertig zentrale Anliegen.