Gedanken zur «Ehe für alle» und Samenspende

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Gedanken zur «Ehe für alle» und Samenspende

Liebe Bürgerinnen und Bürger

Am 26. September stimmen wir über ein Geschäft ab, welches nicht nur verfassungsrechtlich höchst umstritten ist, sondern auch Kindern ihr Recht auf einen Vater nimmt. Mich beunruhigt diese Abstimmung enorm und zwar aus folgenden Gründen:

Der Titel der Abstimmungsvorlage verschweigt die Samenspende. Wenn es nur um die «Ehe für alle» ginge, könnte man durchaus geteilter Meinung sein und ich würde mich da nicht explizit öffentlich äussern. Aber der Titel der Vorlage weist nicht darauf hin, dass bei ihrer Annahme gleichzeitig die Samenspende für lesbische Frauen möglich wird. Gerade diese Möglichkeit hat aber weitaus grössere Konsequenzen als die «Ehe für alle» sie hat. Und zwar sind es die Folgen für die so gezeugten Kinder.

Die Regelung der Samenspende verwehrt den Kindern bis zu ihrem 18. Lebensjahr das Recht zu wissen, wer ihr Vater ist. Im Fortpflanzungsmedizingesetz FmedG ist die Samenspende in den Artikeln 18 bis 27 geregelt. Grundsätzlich hat das via Samenspende gezeugte Kind in seinen ersten 18 Lebensjahren kein gesetzliches Recht darauf, zu wissen, wer sein leiblicher Vater ist. Gerade diese Jahre sind für die Entwicklung der Persönlichkeit eines Kindes aber enorm wichtig. Und dazu gehört in entscheidendem Masse auch die Identitätsfindung. Laut Art. 27 Abs. 2 FmedG kann ein Kind schon vor dem 18. Lebensjahr Auskunft über seinen Vater verlangen, wenn es ein schutzwürdiges Interesse daran hat. Aber wer entscheidet schliesslich darüber, ob das Interesse des Kindes schutzwürdig ist? Fraglich ist auch das Vorgehen im Fall, wenn der Vater keinen persönlichen Kontakt zum Kind will (Art. 27 Abs. 3 FmedG). Einerseits hat nun das Kind gesetzlich das Recht, die Angaben über seinen Vater zu bekommen, anderseits hat aber auch der Vater einen gesetzlichen Anspruch auf Schutz seiner Persönlichkeit und seiner Familie. Schliesslich überwiegt das Recht des Kindes, die Angaben zu bekommen. Und wo bleibt dann das Recht des Samenspenders bzw. des Vaters? Nach Art. 27 Abs. 4 kann der Bundesrat die Behandlung von Auskunftsgesuchen einer eidgenössischen Fachkommission übertragen. Spielt man die Rechtslage gedanklich durch, muss man sich schon fragen, wie so etwas gehandhabt werden soll, zumal es hier um Menschen geht und nicht um eine Ware.

Der Bundesrat informiert in seiner Abstimmungsempfehlung (rotes Büchlein) nicht vollständig. Leider schreibt der (von mir sehr geschätzte) Bundesrat im Abstimmungsbüchlein nichts davon, dass ein Kind erst nach dem vollendeten 18. Altersjahr wissen darf, wer sein Vater ist. Er schreibt auf Seite 29 (Rubrik «Recht auf Kenntnis der Abstammung) nur: «Die Verfassung hält fest, dass jede Person Anrecht auf Kenntnis ihrer Abstammung hat. …  Mit der Öffnung der Ehe und dem Zugang zur streng regulierten Samenspende in der Schweiz bleibt das Recht auf Kenntnis der Abstammung gewahrt.» Dies ist nicht grundsätzlich falsch, aber der Bundesrat verschweigt einen für das Kind ganz wesentlichen Sachverhalt, nämlich dass dem Kind dieses Recht in seinen ersten 18 Jahren gesetzlich verwehrt bleibt. Dies gibt mir zu denken. Und ich glaube, dass viele Stimmbürgerinnen und Stimmbürger die Vorlage nicht annehmen würden, wenn sie wüssten, welche Rechte man den Kindern vorenthält. Sind vor dem Gesetz dann wirklich noch alle Menschen gleich, wie es in der Bundesverfassung steht?

Äusserst fragwürdige Umdeutung eines Verfassungsartikels. In Art. 119 Abs. 2 lit. c der Bundesverfassung steht Folgendes: «Die Verfahren der medizinisch unterstützten Fortpflanzung dürfen nur angewendet werden, wenn die Unfruchtbarkeit oder die Gefahr der Übertragung einer schweren Krankheit nicht anders behoben werden kann, …». «Unfruchtbarkeit» ist ein von der WHO definierter medizinischer Krankheitsbegriff. Er steht deshalb nicht von Ungefähr in der Verfassung. Damit eine Samenspende für lesbische Paare aber möglich wird, soll die «Unfruchtbarkeit» umgedeutet werden können, so dass sie auch als «unerfüllter Kinderwunsch» angesehen werden kann. Der «unerfüllte Kinderwunsch» ist aber im vorliegenden Fall nicht die Folge einer Unfruchtbarkeit. Deshalb ist eine solche Gesetzesauslegung absurd. Sind wir als Gesellschaft wirklich schon so weit, dass wir ohne schlechtes Gewissen eine solche Willkür tolerieren mit dem Wissen, dass wir dadurch Kinder in ihrem Persönlichkeitsrecht massiv beschneiden? Zu diesem Thema sagt der Bundesrat in der Abstimmungsbroschüre kein Wort.

Leihmutterschaft wäre nur noch eine Frage der Zeit. Die Homosexuellenorganisationen lassen verlauten, dass sich die schwulen Männer wegen der Samenspende für lesbische Frauen nicht benachteiligt fühlten und sie würden auch in Zukunft keine Leihmutterschaft fordern. Die ganze Geschichte spricht aber eine andere Sprache. Zuerst forderten die Homosexuellen-Vertretungen die kirchliche Segnungsfeier für ein gleichgeschlechtliches Paar. Dann kam die eingetragene Partnerschaft und jetzt die Ehe für alle. Auch die Adoption war oft ein Thema. Bei all diesen Schritten wurde immer beteuert, dass keine weiteren Forderungen gestellt würden. Dass sich die schwulen Paare gegenüber den lesbischen wegen der Samenspende benachteiligt fühlen könnten, ist für mich durchaus nachvollziehbar. Wenn sie Kinder möchten, müssen sie ins Ausland ausweichen. Bei der vorliegenden Abstimmung wird aber von den Befürwortenden gerade dies als Argument vorgebracht, dass die Frauen bei einem Kinderwunsch nicht ins Ausland gehen müssten. Und, bei den Männern ist dies offensichtlich egal? Wir müssen heute schon den Riegel für die Legalisierung der Leihmutterschaft schieben, bevor wir nicht mehr zurückkönnen. Denn bei einer Leihmutterschaft würde ein Kind noch viel mehr zu einer «Manipuliermasse» degradiert. Und wer will da dann noch von Kindesrechten sprechen? Es ist hart, aber ich wage es auszusprechen: «Es wäre reiner Menschenhandel.»

Aufgrund dieser Argumente bitte ich Sie, auch im Namen der EVP Ostermundigen, die Vorlage «Ehe für alle» (und Samenspende für lesbische Frauen) abzulehnen. Die Samenspende muss vom Thema «Ehe für alle» abgekoppelt und als eigenständige Vorlage dem Volk unterbreitet werden. Vielen Dank!

 

Rahel Wagner-Schaub

Ehem. Mitglied Grosser Gemeinderat